Seltene Leukämie: Der lange Weg zur Diagnose
Mit unklaren Symptomen kommt Mirco Seekamp ins Klinikum Bremen-Mitte. Hat der 25-Jährige einen Schlaganfall erlitten? Leidet er an einer Tropenkrankheit? Untersuchung folgt auf Untersuchung. Die Ungewissheit zehrt an den Nerven. Aber am Ende steht die Diagnose und damit auch endlich ein Behandlungsplan.
Mirco Seekamp ist heute nur kurz im Klinikum Bremen-Mitte. Ihm wird Blut abgenommen und nach etwa einer Stunde bespricht er kurz mit seinem behandelnden Arzt Dr. Matthias Bormann seine Blutwerte. Es ist alles in bester Ordnung. Er bekommt ein Rezept und macht sich dann auf den Rückweg nach Hamburg, wo er inzwischen wohnt und arbeitet. Alles ist gut so weit. Vor zwei Jahren war das ganz anders. Mirco Seekamp ist NDR-Reporter und für Recherchen überall auf der Welt unterwegs. Er ist gerade 25 Jahre jung, fit und gesund, als er mitten im Lockdown im Herbst 2020 Hüftschmerzen bekommt. „Klar – zu viel im Homeoffice, mit Laptop und Handy am Küchentisch, zu wenig Bewegung“, mutmaßt Seekamp. Aber die Beschwerden werden schlimmer und treiben ihn schließlich zum Orthopäden.
„Ich konnte nur noch im Liegen arbeiten. Das fand ich dann doch besorgniserregend."
„Ich konnte nur noch im Liegen arbeiten, das fand ich dann doch besorgniserregend“, erzählt er. Physiotherapie und Schmerztabletten verschaffen ihm zunächst etwas Linderung – bis ein weiteres Symptom dazukommt: Seine Zunge ist plötzlich wie betäubt. Könnte von den Tabletten kommen, denkt er sich, immerhin stehen Taubheitsgefühle bei den häufigen Nebenwirkungen im Beipackzettel. Aber es wird schlimmer. Mirco Seekamp kann nicht mehr richtig essen, nicht mehr sprechen. „Ich hatte einen tauben Fleischlappen im Mund, auf den ich keinen Einfluss mehr hatte.“ Langsam bekommt es Mirco Seekamp mit der Angst zu tun. Sein Vater fährt ihn am Nikolaustag ins Klinikum Bremen- Mitte. Mit Verdacht auf Schlaganfall kommt er in die Neurologie. Aber die ersten Untersuchungen bestätigen den Verdacht nicht. Tropenkrankheit? Schließlich war Seekamp im Amazonasgebiet unterwegs.
Oder eine Borreliose? Eine schwere Erkrankung der Nerven? Ein Wurmbefall? Untersuchung folgt auf Untersuchung, Horrorverdacht auf Horrorverdacht, wie Seekamp es rückblickend ausdrückt. Für ihn und seine Familie ist es eine enorm belastende Zeit. Die Ungewissheit zehrt an den Nerven. Außerdem darf ihn niemand besuchen. Die herrschenden Corona-Regeln lassen das nicht zu. Telefonieren kann er kaum, da er mit der tauben Zunge nicht mehr zu verstehen ist. Dennoch fühlt er sich gut aufgehoben im Klinikum Bremen-Mitte. „Von Anfang an haben mich alle auf Augenhöhe mitgenommen und sich total viel Mühe gegeben“, sagt Seekamp. Im Klinikum Bremen-Mitte sind alle wichtigen Fachdisziplinen vor Ort. Die Ärzteteams tauschen sich genau über den Fall von Mirco Seekamp aus. Denn: Die Symptome passen nicht zusammen, der Patient wird immer schwächer, die Milz ist entzündet und stark vergrößert. Mirco Seekamp wird Knochenmark aus dem Becken entnommen, er muss sich zwei Lumbalpunktionen unterziehen, es folgen Magen- und Darmspiegelungen, Ultraschall, diverse Blutuntersuchungen. Viele Stunden verbringt er außerdem im MRT.
Als er nach einigen Tagen auf eine andere Station verlegt wird, folgt damit der nächste Schock – er ist nun Patient der Onkologie. Schwere Krebserkrankung mit 25 Jahren? Die Onkologen veranlassen neben umfangreichen Blutuntersuchungen eine sogenannte FISH-Diagnostik, bei der Anomalien in den Chromosomen festgestellt werden können, und werden dort fündig. Nach etwa zehn Tagen steht die ernste Diagnose: Mirco Seekamp leidet an einer sehr seltenen Unterform der CML – der chronischen myeloischen Leukämie, einer Entartung der Blutstammzellen, bei der sich spezielle Blutkörperchen unkontrolliert vermehren. Noch vor 15 Jahren wäre eine solche Diagnose ein sicheres Todesurteil gewesen. „Ich bin seit 1989 am Klinikum Bremen-Mitte und ich kann mich noch sehr gut an meine ersten Patientinnen und Patienten mit ähnlichen Leukämien hier erinnern, denen wir nicht helfen konnten und die innerhalb eines halben Jahres verstorben sind“, erzählt der Onkologe Dr. Matthias Bormann, der die Behandlung jetzt in der Ambulanz des Klinikums Bremen-Mitte fortsetzt.
Von akut zu chronisch
Doch mit dem Aufkommen der zielgerichteten Diagnoseverfahren kamen nach intensiven Forschungen auch vergleichsweise einfache, aber extrem passgenaue Therapien auf den Markt – die sogenannten Tyrosinkinasehemmer, die die entarteten Zellen daran hindern, sich weiter zu vermehren. Mirco Seekamp bekommt das Medikament Imatinib, das als Standard in der Behandlung bei CML gilt. Es schlägt an. Sein Zustand bessert sich innerhalb von Tagen. Seekamp fühlt sich etwas schlapp, aber so weit gut. Und das mit einer einzigen Tablette am Tag. Keine Übelkeit, kein Erbrechen, kein Haarausfall – und wenn es gut läuft, eine nahezu normale Lebenserwartung. Trotz der schweren Erkrankung ist Mirco Seekamp froh, dass die Suche ein Ende hat und endlich eine gezielte Behandlung beginnen kann. „Die Therapie macht aus der akuten Krebserkrankung eine chronische“, sagt Dr. Matthias Bormann. Vielleicht könne man die Tabletten sogar nach ein paar Jahren absetzen und eine therapiefreie Zeit beginnen. Das müsse überwacht und begleitet werden. Aber selbst wenn der Krebs dann zurückkäme, könne man die Therapie gut wieder aufnehmen. So grundlegend habe sich die Leukämie-Therapie gewandelt. Die Frage: „Warum gerade ich?“ kann Mirco Seekamp indes keiner beantworten. Die CML ist nicht vererbbar, sondern eine erworbene genetische Störung der Stammzellen. „Wir wissen noch nicht, warum sie auftritt“, sagt Dr. Matthias Bormann. Entscheidend sei, dass man sie überhaupt erkenne und gezielt behandele.
Umfassende Hilfe im Onkologischen Zentrum
Die Diagnose Krebs bedeutet einen tiefen Einschnitt im Leben – für die Betroffenen, aber auch für Familienangehörige und Freunde. Das zertifizierte Onkologische Zentrum der Gesundheit Nord, eines der größten in Norddeutschland, bietet jeder Patientin und jedem Patienten mit der Diagnose Krebs die bestmögliche Diagnostik, Therapie, Pflege und Nachsorge an. Fachleute aus unterschiedlichen Disziplinen und Häusern der Gesundheit Nord arbeiten eng zusammen, um für die Betroffenen eine passgenaue Therapie zu entwickeln.
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