Wahrscheinlich haben Sie während der Pandemie bisher einige Phasen erlebt, in denen Sie mal mutiger und mal schreckhafter durch die Gegend gelaufen sind. Und wahrscheinlich bin ich bei Weitem nicht der Einzige (das hoffe ich zumindest), der im Wissen um unsichtbare Aerosole und drohende Infektionen längst ganz neue Verhaltensmuster im Alltag entwickelt hat.
Zum Beispiel bleibe ich seit Monaten – fast schon manisch – vor jedem Desinfektionsmittelspender stehen, der mir in die Quere kommt (und nutze ihn auch!). Das führt manchmal zu etwas peinlichen Momenten. Damit meine ich nicht die Situationen, in denen ich versuche, den Spenderhahn herunterzudrücken und ihn dabei fast abbreche, obwohl ich bloß die Hände drunterhalten müsste und alles von alleine passiert. Mit den verschiedenen Typen kenne ich mich nämlich mittlerweile ganz gut aus. Letztens aber habe ich doch noch ein neues Modell kennengelernt. Es ließ sich nicht drücken und es spuckte auch nichts automatisch aus – es hatte einen Knopf. Und etwas beschämt schlich ich dann davon, als ich bemerkte, dass dieser statt eines Spenders nur eine Schuhputzmaschine in Gang brachte.
Es kommt auch hin und wieder vor, dass ich allein vor einer roten Ampel stehe und sich ein echter Krimi entwickelt. Die Ampel und ich sind dann wie zwei Cowboys, die sich wie im Western bei einem Duell gegenüberstehen. Statt meinen Revolver zu ziehen, hoffe ich dann jedes Mal, dass die Ampel zuerst reagiert und irgendwann von allein auf Grün springt, ohne dass ich auf den Schalter drücken und meine frisch desinfizierten Hände wieder dreckig machen muss.
Eine ganz andere Herausforderung sind Spaziergänge, die sich – Sie werden das vermutlich kennen – oft zu einem Hindernisparcours entwickeln. Jedenfalls dann, wenn man eine gewisse Distanz zu anderen ganz gut findet, die anderen aber nicht. Kennen Sie noch die ganz alten Computerspiele, bei denen man entgegenkommenden Hindernissen rechtzeitig ausweichen musste? So fühle ich mich manchmal auch auf dem Bürgersteig. Die entgegenkommenden Menschen sind dann die feindlichen Raumschiffe, denen man noch relativ einfach aus dem Weg gehen kann; auch wenn man dabei oft notgedrungen über den Grünstreifen schleicht oder ganz nah an der Mauer entlangschrappt.
Das nächste Level in diesem Spiel sind ganze Menschengruppen, die den Weg blockieren. Das sind sozusagen die Endgegner. Meine Vorstellungskraft berechnet dann immer in Sekundenschnelle die wahrscheinliche Flugbahn der feindlichen Aerosolwolken und entwickelt einen Plan, in welchem Zickzackkurs ich unangehaucht um sie herumkommen könnte. Doch genau dann, wenn ich mich in Sicherheit wiege, lacht meistens einer der Gegner beherzt los und die Aerosole kriegen mich doch. Game over.
Ich gebe zu, ich bin da womöglich et- was überempfindlich geworden in letzter Zeit. Gerade an der frischen Luft – und dann noch als Geimpfter – ist das Ansteckungsrisiko ja eigentlich überschaubar. Und wahrscheinlich ist es unterwegs auch nicht unbedingt nötig, alle zehn Meter seine Hände zu reinigen, wenn man es einmal richtig macht. Andererseits: Ist es nicht sogar ganz gut, wenn man in dieser Zeit lieber länger etwas vorsichtiger bleibt, auch wenn das Virus seinen allergrößten Schrecken scheinbar verloren hat?
Vielleicht habe ich mich aber auch nur zu gut an eine gewisse Distanz zu anderen Menschen gewöhnt, die ich schon vor der Pandemie eigentlich immer als ganz angenehm empfunden habe. Für eine Zeit nach der Pandemie wird es bestimmt für gar nicht so wenige eine Herausforderung werden, aus dem sicheren Distanzgefühl heraus wieder etwas mehr Nähe zu anderen zuzulassen. Aber, das habe ich mir jedenfalls vorgenommen: Es ist bestimmt auch gar nicht so verkehrt, ein paar Hygieneregeln in den normalen, pandemiefreien Alltag herüberzuretten – die Duelle mit der Ampel gehören da dann eher nicht dazu.