Ich habe mir vorgenommen, gelassener zu werden. Wo man kann, sollte man ja Stress vermeiden. Nicht dass Sie jetzt denken, ich würde bei jedem kleinen Bisschen an die Decke gehen. Niemals. Jedenfalls habe ich bisher noch keine entsprechenden Rückmeldungen aus dem Kollegenkreis bekommen. Aber vielleicht trauen sie sich auch einfach nicht.
Es gibt allerdings diese kleinen Situationen, in denen es auch mir schwerfällt, die Ruhe zu bewahren. Wenn Sie wie ich jeden Tag mit dem Auto vor roten Ampeln stehen, wissen Sie vielleicht, was ich meine. Die Ampeln an sich sind da weniger das Problem. Die können ja letztlich nichts dafür, dass sie immer dann, wenn man beschleunigt, von Grün auf Gelb und dann auf Rot springen. Das ist halt ihr Job. Die viel größere Provokation sind die Autofahrer vor den Ampeln. Man kann sie wunderbar in drei Kategorien einteilen: Da wären die Spätzünder, die Umdreher und die Platzlasser.
Nun mag man für Spätzünder noch ein gutes Wort einlegen, weil ein verträumter Blick aus dem Seitenfenster manchmal bestimmt interessanter ist als der Blick auf die Ampel. Und was soll auch der Umdreher anderes machen, wenn er partout in die andere Richtung fahren muss? Auch da sollte man als umsichtiger Autofahrer das nötige Verständnis aufbringen.
Ein ungelöstes Rätsel bleiben für mich aber die Platzlasser. Sie bleiben oft abrupt gut und gerne zehn Meter vor einer roten Ampel stehen. Wenn sie nicht ganz vorne in der Warteschlange sind, lassen sie diese zehn Meter einfach zum Vordermann Platz. Warum nur? Vielleicht ist es Ausdruck großer Berührungsängste, vielleicht handelt es sich hier auch um sehr skeptische Leute, die selbst dem Vordermann nicht trauen und es für möglich halten, dass dieser plötzlich den Rückwärtsgang einlegt. Was es auch ist: Passt man nicht selbst höllisch auf, fährt man so einem unerwartet früh bremsenden Platzlasser ruckzuck hinten drauf. Hat man solch einen Unfall verhindert, bringt einen das auch nicht viel weiter, wenn das Platzlassen des Platzlassers dazu führt, dass man selbst nicht an ihm vorbeikommt, um etwa auf eine andere Spur zu wechseln – und das immer in dem Wissen, dass theoretisch ja genügend Platz da wäre.
Aber auch hier werde ich nicht mehr mit beleidigenden Brummeleien und wütenden Worten antworten. Für den nächsten Platzlasser habe ich mir schon einen Plan zurechtgelegt, der gänzlich ohne Aggressionen auskommt. Ich fahre – so es denn geht – einfach langsam an ihm vorbei, parke vor ihm rückwärts in die großzügige Lücke ein, die er frei gelassen hat. Sobald die Ampel auf Grün springt, mutiere ich dann selbst zu einem Spätzünder und gleich danach zu einem Umdreher – aber nur, wenn gerade eine Straßenbahn den U-Turn blockiert.