Herr Prof. Mühlbauer, was genau verbirgt sich hinter der Bezeichnung „Orphan Drugs“?
Prof. Bernd Mühlbauer: In der Vergangenheit wurden seltene Leiden in der Arzneimittelforschung eher stiefmütterlich behandelt, da Pharmaunternehmen befürchteten, dass sich der Aufwand für deren Entwicklung angesichts der wenigen Behandlungsfälle wirtschaftlich nicht lohnen würde. So konnte es vorkommen, dass Forschungssubstanzen trotz interessanter Daten nicht in die endgültige klinische Entwicklung gingen, sie blieben wie Waisenkinder zurück. „Orphan“ ist der englische Begriff für Waise. Das hat sich aber verändert. Heute bedeutet Orphan Drugs lediglich „Medikamente für seltene Leiden“.
Was war ausschlaggebend für diesen Wandel?
Orphan Drugs genießen aufgrund gesetzlicher Regelungen inzwischen eine sehr große Bevorzugung gegenüber üblichen Arzneimitteln. Ihre arzneimittelrechtliche Bewertung erfolgt durch ein vereinfachtes Zulassungsverfahren, was den Aufwand für den Hersteller erheblich verringert. Dazu erfahren sie bei der frühen Nutzenbewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss einen komfortablen Sonderstatus: Der seit über zehn Jahren erforderliche Nachweis des zusätzlichen Patientennutzens neuer Arzneimittel gegenüber den vorhandenen Behandlungsmöglichkeiten muss für Orphan Drugs nicht erbracht werden – er gilt bereits mit der Zulassung durch die Arzneimittelbehörde als erwiesen.