Gesundheit Nord Klinikverbund Bremen

Ambulantisierung in der Psychiatrie: Viel Aufbruchstimmung und viel Arbeit

Schichtwechsel

Beim Wandel der Psychiatrie fallen immer wieder Begriffe wie "Ambulantisierung" und "Regionalisierung. Doch was bedeutet das eigentlich genau? Klinikpflegeleitung Frank Simon erklärt es im Interview mit Stefanie Beckröge.

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Wenn es um die Zukunft der Bremer Psychiatrie geht, tauchen immer wieder die Begriffe „Regionalisierung“ und „Ambulantisierung“ auf. Viel ist von „BravO“ die Rede und von der „zweiten Psychiatriereform“. Aber was verbirgt sich hinter diesen Begriffen? Und was bedeuten sie für die Gesundheit Nord, die Mitarbeitenden, für Bremen und vor allem für die Patientinnen und Patienten? Das wollten wir genauer wissen. Den Anfang unserer kleinen Serie zur Neuausrichtung der Psychiatrie macht Klinikpflegeleiter Frank Simon, der die Bremer Psychiatrielandschaft seit Jahrzehnten kennt und froh ist, dass es jetzt mit so viel Schwung nach vorne geht.

Herr Simon, viele sprechen von der „zweiten Psychiatriereform“. Was genau bedeutet das für die Ausrichtung der Bremer Psychiatrie?
Frank Simon: Nicht alles an der Neuausrichtung der Psychiatrie ist wirklich neu. Mit der ersten Psychiatriereform in den achtziger Jahren hat sich die Psychiatrie europaweit auf den Weg gemacht, um Wegzukommen von der so genannten kustodialen, der rein verwahrenden Psychiatrie, die sich hinter verschlossenen Türen abspielte. Die Bevölkerung hatte nur Vermutungen, was dort passiert und wollte das in den meisten Fällen auch lieber gar nicht genau wissen. Auch heute noch gibt es viele Vorbehalte gegenüber der Psychiatrie, auch wenn das alles längst nicht mehr so ist. Im aktuellen Reformprozess geht es darum, noch offener und transparenter zu werden und die Menschen in dem Umfeld, in dem sie leben, zu erreichen und so Stigmatisierung abzubauen.

Also raus aus der Klinik rein in die Gemeinden?
Genau so. Es gab auch in der Vergangenheit schon ein Regionalkonzept. Das bauen wir jetzt aus und haben es noch deutlich verbessert. Die bereits bestehenden zentral in den Stadtteilen gelegenen und gut erreichbaren Behandlungszentren ertüchtigen wir und wollen sie noch bekannter machen. Alle sollen wissen: Es gibt ein für jede und jeden erreichbares Hilfesystem in der Nachbarschaft mit allen Versorgungsformen von ambulant über tagesklinisch bis stationär.

Wie sieht das konkret aus?
Wir haben Bremen dafür in fünf Regionen mit etwa 100.000 Einwohnern unterteilt. Es gibt das Behandlungszentrum Süd im Buntentor, das Behandlungszentrum West in der Gröpelinger Heerstraße, das Behandlungszentrum Ost am Klinikum Bremen-Ost, das Zentrum in Nord am Aumunder Heerweg und jetzt das Behandlungszentrum Mitte in der Friedrich-Karl-Straße in unmittelbarer Nähe zum Klinikum Bremen-Mitte. Diese Zentren sind Anlaufstellen für Menschen mit psychischen Problemen, in Krisen, mit Beratungs- und Behandlungsbedarf. Es soll an allen Zentren Institutsambulanzen geben, Tageskliniken, das BravO-Team und in Zukunft auch stationäre Betten. Die Betten sind aber im Moment noch am Klinikum Bremen-Ost bzw. am Klinikum Bremen-Nord, ebenso unterteilt in Regiostationen, so dass die behandelnden Teams dieselben bleiben und es eine gute lückenlose Versorgung beim Wechsel zwischen stationären und ambulanten Angeboten gibt. Pro Region gibt es ein Team mit etwa 80 Mitarbeitenden, darunter Ärzte, Psychotherapeuten, Spezialtherapeuten, wie Ergo- und Physiotherapeuten und Sozialarbeiter. 

Sie haben BraVo erwähnt. Was verbirgt sich dahinter?
Wir reduzieren stationäre Betten und wandeln jedes Bett um in einen Platz im so genannten Home Treatment. Bei uns heißt das BravO – Bremen ambulant vor Ort. Wir gehen bewusst raus aus der Klinik hin zu den Menschen und in ihr Lebensumfeld und helfen ihnen genau dort, damit sie in ihrer gewohnten Umgebung bleiben können und nicht in die Klinik müssen. Damit soll auch öffentlich wahrgenommen werden– die Psychiatrie ist ein Hilfemodell, das jeder in Anspruch nehmen kann, wie den Hausarzt oder eine Beratung, nur noch intensiver. Das ist nicht Exotisches, was da passiert.

Wie funktioniert BravO genau? Für jede Patientin und jeden Patienten wird ein eigener Behandlungsplan erstellt. Diese individuelle Behandlung findet dann in den eigenen vier Wänden statt. Ob Ärzte, Psychologen, Therapeuten – wer gebraucht wird, fährt zu den Patienten – und das täglich – immer in enger Absprache mit dem Behandlungsteam. Es gibt individuelle Modelle, therapeutisch und medikamentös, aber man braucht dafür nicht in einer fremden Umgebung im Krankenhausbett zu liegen.

Für Betroffene eine große Erleichterung – die meisten gehen nicht gerne ins Krankenhaus.
Und deshalb wurden in vielen Fällen Krisen zuhause so lange ausgehalten, bis die oder der Betroffene und alle Angehörigen erschöpft waren. Im schlimmsten Fall kommen sie dann Samstagnacht in die Notaufnahme. Dort ist der Druck groß, viel Hektik. Die Patienten werden aufgenommen, gut und sicher untergebracht, sind aber in einer fremden Umgebung - weg von den Freunden und der Familie unter lauter fremden Menschen.

Aber es gibt doch auch Situationen, in denen Menschen nicht zuhause betreut werden können und wollen?
Das stimmt. Natürlich behalten wir Krankenhausbetten. Zum einen haben wir die schon erwähnten Regiostationen mit etwa 16-20 Betten. Darüber hinaus wird es weiterhin die gerontopsychiatrische Station geben für ältere psychisch Kranke, die ein besonderes Umfeld und besondere Zuwendung brauchen, eine Station für Menschen mit schweren Depressionen und eine Station für die stationäre Alkohol-Entzugsbehandlung. Hinzu kommt außerdem noch eine Tagesklinik für Entzugsbehandlung, die wir gerade planen.

Sie wirken sehr optimistisch und zuversichtlich…
Das bin ich auch. Wir sind sehr froh, dass es jetzt endlich wirklich vorangeht. Unglaublich gestärkt hat uns dabei der Geschäftsführungsbeschluss vom September 2021.  Der hat die Zusammenführung der beiden psychiatrischen Kliniken Ost und Nord besiegelt. Jetzt gehen wir mit einem vierköpfigen Leitungsteam mit Dr. Martin Bührig und Uwe Schale aus dem Klinikum Bremen-Nord und Dr. Martin Zinkler und mir vom Klinikum Bremen-Ost gemeinsam voran. Die Politik und die Geschäftsführung der Gesundheit Nord unterstützen uns. Das hat uns einen enormen Schwung verliehen, der noch immer anhält. Das Ganze ist unglaublich viel Arbeit, aber es macht auch unglaublich viel Spaß! 

Wer auch Teil der psychiatrischen Behandlungsteams werden möchte, kann sich bewerben unter jobs@gesundheitnord.de.

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